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Milonga del Àngel 5:180:00/5:18
"Das will ich auch!"
Dieser Satz war typisch für mich, als ich Kind war.
Denn mein großer Bruder war mir immer zwei Schritte voraus und alles, was er tat, wollte ich auch tun, was er konnte, wollte auch ich können. Als er begann, Blockflöte zu lernen, musste meine Mutter mir ebenfalls eine Flöte kaufen. Als er in einen Knabenchor aufgenommen wurde, war ich entrüstet, weil ich als Mädchen nicht willkommen war. Zum Glück fand meine Mutter bald einen gemischten Kinderchor für mich. Als mein Bruder Klavierunterricht bekam, begann auch ich bald darauf mit dem Klavierspiel. Erst als er anfing, Gitarre zu spielen, spürte ich, dass es Zeit wurde, etwas Eigenes zu wählen. Aber was? Die Frage beantwortete sich an einem Freitagnachmittag:
Ich war zu früh zur Chorprobe gekommen und in dem Gemeinderaum probte ein Kinderorchester. Und da sah ich sie: ein kleines blondes Mädchen mit Pagenkopf, sie sah aus wie das Nesthäkchen aus der Weihnachtsserie. Ich weiß nicht, ob sie es war oder die Geige, die auf ihrer Schulter lag. Jedenfalls war ich völlig verzaubert und als ich an dem Tag nach Hause kam, verkündete ich meiner Mutter, dass ich nun Geige lernen wollte.
So klar der Beginn meiner Liebesbeziehung mit diesem Instrument war, so schwierig gestalteten sich die kommenden Jahre. Als relative Spätanfängerin stand mein starkes Ausdrucksbedürfnis im Gegensatz zu meinen begrenzten technischen Fähigkeiten. Ein Geigenstudium schien mir undenkbar.
So probierte ich verschiedene Studiengänge aus und landete schließlich bei der Schulmusik in Köln, nicht ganz das, was ich wollte, aber doch immerhin etwas mit Musik. Ich nahm gerade Fahrt auf, als der Freitod meines Bruders mich komplett aus der Bahn warf. Erst versuchte ich, einfach weiterzumachen, doch alles fühlte sich falsch an und irgendwann wollte ich einfach nur noch weg aus meinem Leben. Eines Tages war es so weit, ich packte meine Koffer, nahm meine Geige und machte mich auf in die spanische Hauptstadt Madrid. Ein Jahr Leben und Lernen wollte ich mir schenken – und es wurde so viel mehr!
Nicht nur lernte ich endlich den Lehrer kennen, der meine Technik auf den Kopf stellte und mir zeigte, dass auch ich noch alles lernen konnte. Ich kam auch in Kontakt mit meinem späteren Tangoduopartner. In mir schlummerte bereits die Liebe zum Tango Argentino und auch wenn es noch Jahre dauern sollte, bis ich sie wirklich ausleben würde, so wurde doch in Madrid der Grundstein dafür gelegt.
Ich lief gerade mit meiner Geige über die Straße, als ich angesprochen wurde. Ich sei anscheinend Musikerin, ob ich nicht die Alexandertechnik kennen lernen wollte? So kam es, dass ich mich in die Hände eines spanischen Lehrers für Alexandertechnik begab. In der Folge wurde es mir möglich, meine Schmerzen und Verspannungen beim Spielen abzubauen. Noch immer glaubte ich nicht, dass ich eine Zukunft als Geigerin haben könnte, doch ich entwickelte die Mission, eine phantastische Geigenlehrerin zu werden. Ich wollte meinen Schüler:innen einen leichteren und schmerzfreieren Weg mit dem Instrument ermöglichen als ich ihn gegangen war.
Zurück aus Madrid nahm ich ein Studium der Instrumentalpädagogik in Hannover auf. Endlich konnte ich mich auf die Geige konzentrieren. Aber irgendwas stimmte noch immer nicht. Eine Lebenskrise brachte mich schließlich dazu, noch einmal alles über den Haufen zu schmeißen und führte mich in die Niederlande, nach Rotterdam. Hier tauchte ich voll und ganz in die Welt des Tango Argentino ein. Die Kreise schlossen sich, ich war angekommen.
Inzwischen stehe ich als Tangogeigerin auf den Bühnen, vermittle kleinen und großen Menschen das Geigenspiel und die Tangomusik und lerne die Alexandertechnik, um sie auch weitergeben zu können. Es gibt für mich kein „Künstlerin oder Pädagogin“ mehr – alles gehört zusammen. Ich habe mich dem lebenslangen Lernen verschrieben, möchte Menschen in ihren Wachstumsprozessen begleiten, genauso, wie ich selber nie aufhören möchte zu wachsen.
Wenn ich auf der Bühne stehe, gibt es diese kostbaren Momente, in denen die Zeit stillzustehen scheint. Ich liebe es, Menschen den Raum zu geben, eine Reise in ihre eigenen Seelenwelten anzutreten und meinen Beitrag dazu zu leisten – mit der Musik der Unendlichkeit.
“Du bist eine hochprofessionelle Musikerin mit so viel Leidenschaft im Spiel… Danke!” - D. S. Musiker